















Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Im Titel mag sich ein merkwürdiges Gefälle von Objektbenennungen ausdrücken. Doch sind es gerade die programmatischen Eckpunkte in Young-Jae Lees heutigem Schaffen. Spindelvasen – im Grunde mehr Objekt als Vase – leben von ihrem Volumen. Ihre Formen sind von Ausdehnung und Verengungen, von weichen Konturen und scharfen Kanten gekennzeichnet. In ihrer weitesten Ausdehnung zusammengesetzt, können zwei Schalen in gleichem Verhältnis, aber auch, wie in der Ausstellung zu sehen, ungleich mit einer deutlichen Längung der oberen Schale in weichem Übergang zueinander montiert und zudem in dunkler Farbigkeit glasiert sein. Die Spindelvasen sind Synthese einer konstruierenden Gestaltung westlicher Manier und koreanischen Formenguts, den sogenannten Mondtöpfen. Der künstlerische Anspruch, den Young-Jae Lee in diesen Gefäßen an sich erhebt, entspricht der Qualität der koreanischen weißen, schmucklosen Porzellangefäße der Joseon-Periode [1], deren außerordentliche Schönheit in den ästhetischen Idealpaaren des Einfachen und Edlen, des Emotionalen und des Beherrschten, der Vielfalt im Gleichen und Abweichen vom Normativen liegt.
Die Schale ist für Young-Jae Lee seit Anbeginn ein substanzielles Thema. Wiederum bezieht sie sich auf ihr koreanisches Erbe, stellt die Schalen aber auch in einen konzeptionellen Zusammenhang, indem sie sie in Installationen präsentiert. Im reichhaltigen Formenrepertoire begegnet man auch großen, gelängten, beinahe wuchtigen Kelchformen, die von den sakralen Schalen herkommen, wie sie 2002 für die Kunststation St. Peter in Köln von Pater Friedhelm Menekes SJ in Auftrag gegeben wurden. Und schließlich gibt es die Spinatschalen, Ergebnisse eines von Young-Jae Lee sehr komplex erlebten Ost-West-Verhältnisses. In dem Namen stecken Provokation, Witz und Selbstbehauptung. Mit der Schale als Trinkgefäß rückte für Young-Jae Lee die Teeschale in den Fokus und damit die Suche nach deren Form und Sinn. Hier beginnt es kompliziert zu werden. Die Teeschale wird fast immer als japanische Erscheinung klassifiziert, die Meinungen über die „rechte“ Form können sehr determinierend ausfallen. Allgemein ist die Rezeption der koreanischen Kunst hierzulande lange Zeit von der chinesischen und japanischen dominiert. Ein Blick in die Geschichte lehrt, wie stark Korea kulturell und politisch unter Japan zu leiden hatte. [2] Drängender wird für Young-Jae Lee die Frage nach der Teeschale in Korea, wo schließlich auch aufgebrühter Blättertee getrunken wird, wenngleich in der Joseon-Periode politisch bedingt nur privatissime in Klöstern und manchen Gelehrtenhäusern – und vor allem ohne jeglichen Kult wie in Japan. Zwei Erkenntnisse beenden ihre Suche und ihre Zweifel: Es gibt keine festgelegten Teeschalenformen in Korea; Schalen, ob nun für den japanischen grünen "matcha" (Tee für die Teezeremonie) oder Speisen wie etwa grünem Spinat, müssen grundsätzlich gleichwertig sein.
Unter den Spinatschalen sind solche, deren Formen sich an koreanische Opferschalen für den Altar orientieren, das heißt, wo der mehr oder weniger weit sich öffnende Schalenteil auf einem breiten, hohen Sockelfuß ruht. Zumeist sind sie mit einer weißlichen oder auch mit einer von Young-Jae Lee entwickelten Art der japanischen Shino-Glasur überzogen. Der überwiegende Teil der Spinatschalen zeichnet sich durch eine niedrige, schüsselartige Form mit einem zwar breiten, doch wenig prominenten Fußring aus. Auf den ersten Blick wirken sie behäbig und bescheiden gegenüber den früheren Schalen, die nicht zuletzt wegen ihres Fußes elegant, ja, auch kapriziös erscheinen, doch gewinnen sie mächtig an Statur. Ihre Glasuren sind robuster, satter in Farbe und Sprenkelungen, oder im sich auffächerndem Kristall-Craquelé. Ihr Gebrauchscharakter drängt sich auf.
Young-Jae Lee hat sich mit den Spinatschalen von formalen Vorgaben, ihren Erfahrungen und Einstellungen zur Rezeption der koreanischen Kunst, gleich ob in Europa, Japan oder in Korea selbst, emanzipiert. Ihre Liebe, daran sei hier erinnert, gilt der Keramik der Joseon-Periode. So sind ihre Spindelvasen dem einzigartigen weißen Porzellan dieser Zeit verwandt, ihre Spinatschalen ein fernes Echo auf den Geist der Joseon-zeitlichen Buncheong-Keramik, einer unprätentiösen, doch kraftvollen Keramik, die mit den Konventionen ihrer edlen Vorgängerinnen, den Goreyo-zeitlichen Seladonen, gebrochen hat. [3]
Young-Jae Lee kam, nachdem sie von 1968 bis 1972 an der Hochschule für Kunsterziehung in Seoul studiert hatte, 1972 nach Deutschland, um ihre Studien bei der Keramikerin Christine Tappermann und 1973 bis 1978 an der Fachhochschule in Wiesbaden in den Fächern Keramik bei Margot Münster und Formgestaltung bei Erwin Schutzbach fortzusetzen. Nebenbei absolvierte sie 1976/77 ein Praktikum bei Ralf Busz. Ihre erste Werkstatt eröffnete sie 1978 in Sandhausen bei Heidelberg. Von 1984 an war sie künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gesamthochschule in Kassel, bis sie 1987 die Keramische Werkstatt Margaretenhöhe in Essen übernahm. Neben ihren Einzelstücken, den Schalen und Vasen, entwickelte sie ein umfangreiches Geschirrprogramm, das sich in Formen und vor allem in Farben vielfältig nach individuellem Gusto und Bedarf kombinieren lässt. Young-Jae Lee ist mit Ausstellungen in Museen und Privatgalerien in Europa, Amerika, Korea und Japan präsent. In der Galerie Fred Jahn finden seit 1988 regelmäßig Ausstellungen sowohl mit Young-Jae Lees Einzelstücken als auch mit Teekeramik und der Geschirr-Produktion der Keramischen Werkstatt Margaretenhöhe statt.
Gisela Jahn
[1] Joseon-Periode: 1392-1910, konfuzianisch geprägt.
[2] Japanische Feldzüge in Korea: 1593 und 1595, japanische Besetzung: 1910-1945.
[3] Goreyo-Periode: 918-1392, buddhistisch geprägt.