

























Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
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Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
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Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
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Im Jahr 2013 waren in der Galerie Fred Jahn zum ersten Mal Werke von Paula Rego (1935 Lissabon – 2022 London) in einer Einzelschau in Deutschland zu sehen. Im September 2022 widmet Jahn und Jahn der portugiesisch-britischen Künstlerin nun die zweite Einzelausstellung in München.
Rego wurde Anfang der 1960er Jahre für ihre politischen Collagen bekannt. Ab Mitte der 1960er Jahre widmete sie sich vorrangig der Malerei, Zeichnung und Druckgrafik und entwickelte den für sie typischen magisch-realistischen Stil mit grotesken Szenerien, die von weiblichem Bildpersonal dominiert werden. Ihre Motive und Sujets entspinnen sich um Themen wie Schwangerschaft, Altern, Missbrauch, Verrat, mentales Leiden, Aggression und Unterdrückung. Charakteristisch für Regos Frauendarstellungen ist ihre physische Präsenz. Die Fleischlichkeit der festen, muskulösen, kompakt voluminösen Körperformen ist weit entfernt von einer sinnlich sexualisierten, männlichen Sicht auf den weiblichen Körper. Die Hände ihrer Protagonistinnen sind groß und stark, sie packen zu, sie tragen, sie halten, sie stützen. Die Gesichter sind kantig und ausdrucksstark. Das Spektrum an Emotionen bewegt sich von innerlicher Anspannung und Erwartung über Besorgnis, Angst, Erschöpfung, Erschrecken, Verzweiflung bis hin zu Fürsorglichkeit. Oft ist es der Blick von Regos kämpferischen Figuren, der die Betrachter*innen direkt und unmittelbar anspricht und die Komplexität der Gefühle der dargestellten Charaktere zum Ausdruck bringt.
Die Zeichnung bildet die Basis des künstlerischen Schaffens von Paula Rego. Ihre mit Blei- oder Buntstiften und in kraftvollen Strichen ausgeführten Skizzen dokumentieren die Vitalität und Spontaneität des Moments der Ideenfindung. Das druckgrafische Œuvre umfasst mehr als 280 Arbeiten in verschiedenen Radier- und Lithografietechniken. Hinzu kommen Probedrucke, nachträglich angefertigte Farbversionen ursprünglich einfarbiger Blätter, zu einem späteren Zeitpunkt überarbeitete Neuauflagen sowie handkolorierte Exemplare, die Unikate sind. Die Ausstellung bei Jahn und Jahn in München zeigt anhand ausgewählter Werke die gesamte Bandbreite der von Paula Rego im Laufe der Zeit erarbeiteten Möglichkeiten und belegt eindringlich ihre Versiertheit in der Beherrschung der Mittel. Neben Einzelwerken vereint die Ausstellung druckgrafische Blätter verschiedener Serien in Kombination mit Kompositionszeichnungen und Figurenstudien. Drei Zeichnungen aus dem Jahr 1998 zeigen Motive, die sich in dem bedeutenden Radierzyklus zum Thema Abtreibung von 1999 widerfinden lassen. Es handelt sich um Vorzeichnungen für die damit im Zusammenhang stehende Gemäldereihe, die dem gleichen Thema gewidmet ist. In ihrer rhythmischen Serialität sind die radierten Blätter brutal, authentisch und einfühlsam zugleich. Das intime Format zwingt zur Nähe. Es entsteht eine Art vertraulicher Dialog zwischen abgebildetem Sujet und betrachtendem Subjekt. Auf berührende Art und Weise legt Rego hier Zeugnis von der mentalen Verfassung ihrer Protagonistinnen ab. In diesen Kontext sind weitere Arbeiten zu verorten, die sich mit dem Thema der weiblichen Genitalverstümmelung befassen. Nachträglich händisch kolorierte und damit unikale Fassungen der Radierungen „Circumcision“ und „Stitched and Bound“, beide aus dem Jahr 2009 und mit beeindruckenden Blattmaßen von je 120x110 cm, dokumentieren die konstante Beschäftigung der Künstlerin mit gesellschaftlichen Praktiken, durch die Frauen unterdrückt werden. In diesen schockierend befremdlichen Szenerien kommt Regos ausgeprägter Sinn fürs Makabre und ihre Fähigkeit, Horror mit Komik zu verbinden, zum Ausdruck.
Unermüdlich übersetzte Paula Rego die Abgründe der menschlichen Existenz in narrative Bildstrukturen, in denen Privates, Politisches und Soziales zu einem unverwechselbaren Mikrokosmos verwoben sind. Der Nachdruck und die Bestimmtheit, mit denen ihr Werk heute über Großbritannien und Portugal hinaus an öffentlicher Sichtbarkeit gewinnt, lassen sich vor allem auf die universelle Aussagefähigkeit ihrer expressiven figürlichen Bildsprache, die Vehemenz und Ausdruckskraft ihres bildnerischen Erzählvermögens und die Bedeutsamkeit der von ihr behandelten Inhalte zurückführen. In ihrer facettenreichen künstlerischen Produktion fokussierte Rego immer wieder Themen, die um Machtverhältnisse in familiären Konstellationen oder konfliktreiche Beziehungsstrukturen, um Gewalt, Schmerz, Tod, Sexualität und die gesellschaftliche Rolle der Frau kreisen. Unter Bezugnahme auf narrative Kontexte, die Volksmythen, Fabeln oder Märchen entstammen, aktivieren ihre Bilder – wundervoll und verstörend zugleich – das kollektive Gedächtnis und wecken tief im Individuum verwurzelte Kindheitserinnerungen. Paula Rego ist es gelungen, vielschichtige Fragen in einfachen visuellen Formeln zu verdichten, welche zwar die Qualität einer allgemeingültigen Lesbarkeit besitzen und dennoch subjektive Erfahrungen und intimste Situationen widerspiegeln.
Nach zahlreichen musealen Präsentationen in ganz Europa erfährt ihr Œuvre, welches die Entwicklung der figurativen Kunst in Europa seit Mitte der 1950er Jahre bis heute entscheidend mitgeprägt hat, nun auch in Deutschland seine längst überfällige Aufmerksamkeit. Ein größerer, aus Malereien und Stofffiguren bestehender Werkkomplex Regos ist noch bis Ende November im zentralen Pavillon der 59. Biennale in Venedig ausgestellt. Ab Oktober widmet ihr die Kestner Gesellschaft in Hannover eine Einzelaustellung.
Zur Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog: Paula Rego 1935–2022, hg. v. Jahn und Jahn, mit Texten von Johanna Spanke, Karin Wieland und Anka Ziefer, München 2022, 136 S. (Deutsch/Englisch)
Paula Rego (1935 Lissabon – 2022 London) studierte von 1952 bis 1956 an der Slade School of Art in London. Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre lebte sie mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern hauptsächlich in Ericeira (Portugal), bis die Familie 1975 nach London überseidelte. Sie erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden, u.a. 2005 von der Oxford University, 2011 von der Universidade de Lisboa und 2015 von der University of Cambridge (UK). 2010 wurde die Künstlerin von der britischen Königin zur „Dame Commander of the British Empire“ ernannt. Im Jahr 2009 wurde das ihr gewidmete Museum Casa das Historías Paula Rego in Cascais in der Nähe von Lissabon eröffnet. Am 8. Juni 2022 starb Paula Rego im Alter von 87 Jahren in London. Ihre Werke befinden sich in bedeutenden internationalen Museen im In- und Ausland.
Ausgewählte Einzelausstelllungen: 2022 Museo Picasso, Málaga; 2021/2022 Kunstmuseum Den Haag; 2021 Tate Britain, London; 2020 Irish Museum of Modern Art, Dublin; 2019/2020 Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh; 2018 Musée de l'Orangerie, Paris; 2012 Museu Calouste Gulbenkian, Lissabon 2008 National Museum of Woman in the Arts, Washington; 2007 Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid; 1997 Tate Gallery, London; 1988 Serpentine Gallery, London u.v.a.
Weiterführende Literatur (Auswahl):
Paula Rego, hg. v. Elena Crippa, mit Texten v. Elena Crippa, Giulia Smith, Marina Warner u.a., Ausst.-kat. Tate Britain, London 2021, 238 S. (Englisch)
Paula Rego. The Forgotten, Text von Deborah Levy, Ausst.-kat. Victoria Miro, London 2021, 132 S. (Eng-lisch)
Paula Rego. Obedience and Defiance, hg. v. Anthony Spira & Catherine Lampert, mit Texten von Catherine Lampert & Kate Zambreno, Ausst.-kat. Scottish National Gallery of Modern Art (Edinburgh), Irish Museum of Modern Art (Dublin) & MK Gallery (Milton Keynes), London 2019, 176 S. (Englisch)
Deryn Rees-Jones, Paula Rego. The Art of Story, mit einem Vorwort von Marina Warner, London 2019, 376 S. (Englisch)
Paula Rego. Drawing, enacting, painting, hg. v. Fundação D. Luís I & Casa das Historías Paula Rego, Text v. Catarina Alfaro, Ausst.-kat. Casa das Historías Paula Rego, Cascais 2019, 171 S. (Englisch/Portugiesisch)
T. G. Rosenthal, Paula Rego. The complete graphic work; New updated and expanded edition, London 2012, 386 S. (Englisch)
Paula Rego. Colecção, hg. v. Dalila Rodrigues, mit Texten v. Marco Livingstone, Ruth Rosengarten & John McEwen, Bestandskatalog, Casa das Historías Paula Rego 2009, 375 S. (Portugiesisch)
John McEwen, Paula Rego. Behind the Scenes, London 2008, 216 S. (Englisch)
Paula Rego, hg. v. Marco Livingstone, Ausst.-kat. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia (Madrid) & National Museum of Woman in the Arts (Washington), Madrid 2007, 306 S. (Englisch)