Lutz Brauns Bilder verwandeln die uns vertraute Welt in elegisch anmutende Angst-Szenarien des Entschwindens, des Hinübergehens in einen anderen Zustand. Diese neuen Gegebenheiten sind mehr als nur Degeneration, Verfall oder Destruktion, denn der Künstler nimmt sich seiner Endzeit-Visionen auf eine unvermittelte, behutsame und manchmal auch humorvolle Weise an. Braun entwirft ein post-apokalyptisches Setting, das jedoch nicht schwarzweiss gezeichnet oder schablonenhaft, sondern in der luftig transparenten Farbigkeit eines frühlingshaften Aufbruchs in Erscheinung tritt.
In seinem Gemälde Schrankenwärterin etwa dominieren Rosarot-, Grün- und Gelbtöne. Der Betrachter wird mit märchenhaft schimmernden und zugleich zerfallenden Zuständen konfrontiert – mit einer Welt, die dabei ist, sich auszuhauchen. Metaphorisch kann dafür eine Substanz stehen, die im Bild aus zwei Reagenzgläsern entweicht. Von der Malerei – einem unerklärlichen Farbsog – generiert, erheben sich die Dachbalken einer erbärmlichen Behausung und werden fortgetragen. Diese geisterhafte Verflüchtigung scheint eine vor dem Gebäude postierte Figur (eine Hexe ?) zu bezeugen, zu bewachen oder ihr gar Einhalt zu gebieten. Von ihrer eigenen Substanz her betrachtet, hat diese James-Ensor-artige Totenkopfgestalt allerdings wenig Gegengewicht zu bieten; denn sie ist nicht mehr als ein halbdurchsichtiger fleischkleid-artiger Überwurf, dem das Darunter fehlt.
Eine Vermischung, bzw. eine Gleichzeitigkeit von vitalen und destruktiven Zuständen und Kräften lässt sich auch aus dem querformatigen Bild Die Situation vor dem Absprung ablesen, in dem ein heller, mit seiner Spitze nach unten weisender, sowie ein dunkler Dolch zu sehen sind, dessen Klinge nach oben zeigt. Auf spannungsreiche, dialektische Weise sind hier Aktivität, Kampfbereitschaft und Destruktivität bzw. Einhalt und ohnmächtige Ergebenheit zugleich präsent.
Wie gewohnt, entwickelt Lutz Braun seine Sujets auch auf Malgründen, die aus unterschiedlichen Stofflichkeiten bestehen. Eine visionäre Landschaftsszenerie mit geisterhaften Wesen und geometrischen Formen entstand auf, bzw. aus einem Sitzkissen, das als Screen (Bildschirm) betitelt das bildliche Geschehen einer parallelen Wirklichkeit bezeichnet.
Eine zu Boden gesunkene, ´kapitulierende´ Bild-Vision, die allerdings zugleich auf ein übergeordnetes kosmologisches Geschehen verweist, ist The Astral Sleep, gemalt auf einer Matratze, auf der sich der Körper einer aus Stoffresten geformten Katze zur Ruhe begeben hat. Wie bei vielen anderen Teppich- und Stoff-Bildern reagiert die Hand des Malers auf bereits vorhandene Eigentümlichkeiten und Musterungen. Oder, von der anderen Seite her betrachtet, enthält das Sosein des Stoffes in nuce bereits das erst entstehende Bild.
Im unteren Raum der Galerie erwarten den Besucher außer mehreren eher kleinformatigen Zeichnungen und einer Malerei auf Leinwand auch drei plastische Arbeiten. Die aus unterschiedlichen farbigen Stoffen und Lappen um ein Holzgerüst herum modellierten Figuren sind notdürftig Gestalt gewordene Wiedergänger, die entweder in einem Tier-Habitus demütig verzagt zu Boden (zurück-)gesunken sind, sich mit ihrer Gestik, bzw. ihrem ´unerlösten´ Sein Hilfe suchend oder aber ergreifend, also ermächtigend an den Betrachter wenden.
Mit seiner Ausstellung Spuk ist die Absicht macht Lutz Braun sein Publikum mehr als zum Zeugen eines großen zu-Ende-Gehens. Brauns doppelgesichtige Bilder und Skulpturen kennzeichnen die Gegenwart als eine Schwellensituation – als das, was als Die Situation vor dem Absprung erscheint. Der Künstler zeigt nicht nur die Welt, die am Ende ihres Zivilisationsprozesses ihre Ressourcen und Sinn-Produktionen aufgebraucht hat, sondern gibt bereits Einblicke in eine Sphäre, in der die humane Gesellschaft in einen anderen Modus hinübergebrochen ist.
Text von Thomas Grötz