Galerie Jahn und Jahn präsentiert die erste Einzelpräsentation von Ludovica Carbotta in Deutschland. Unter dem Titel "Die Telamonen" sind neben einer Auswahl an Skulpturen, ursprünglich entstanden für Carbottas jüngste Ausstellung am Bündner Kunstmuseum Chur in der Schweiz, neue Plastiken und Papierarbeiten aus dem fortlaufenden Projekt zu sehen.
Der Titel bezieht sich auf den klassischen Architekturbegriff "Telamon", der die männliche Version eines Karyatiden bezeichnet. Die erste in dieser Serie entstandenen Skulptur verweist namentlich auf Faustine, die Protagonistin des Romans "Morels Erfindung" von Adolfo Bioy Casares. Das 1940 veröffentlichte und von Borges hochgelobte Buch gilt als Meisterwerk der fantastischen Literatur, welches das Thema Schöpfung im weitesten Sinne verhandelt. "Faustine" markiert den Beginn der nun gezeigten Serie von Plastiken, in der jede neue Kreation zugleich eine Reproduktion der vorangegangenen darstellt. Durch diesen Prozess befreit Carbotta ihre Figuren von der literarischen Quelle und eröffnet einen neuen fiktionalen Pfad. Dieser mündet schließlich in von der Künstlerin verfassten Texten, mit denen sie die physischen und plastischen Charakteristika ihrer Arbeiten wieder aufnimmt und weiterentwickelt. Die Telamons werden so zu den Protagonisten einer neuen Familiensaga, in der interfamiliäre Konstellationen mit bildhauerischen Ausdrucksmitteln verhandelt werden. Räumliche Faktoren wie Nähe, Distanz, Leere und Akkumulation werden zu Bestandteilen eines familiären Gefüges.
Carbotta konzentriert sich in ihrer Praxis auf die physische Erforschung des bewohnten Raums und darauf, wie Individuen Verbindungen zu ihrer Umwelt herstellen. In der Zeit des Lockdown bekam dieser Blick auf die Welt eine neue Relevanz, da er neue Perspektiven auf unsere Realität ermöglicht. Mit ihrer jüngsten Serie "Monowe" erschafft Carbotta die alternative Realität einer Stadt, die Baustelle und Ruine zugleich ist. Dieser fiktive Ort wird von einer einzigen Person bewohnt. Entstanden sind Installationen und Plastiken, die Teile der Stadt abbilden, sowie Artefakte, die dem Gebrauch, der Vorstellungswelt oder der Erinnerung des einzigen Bewohners entstammen könnten. Zwischen Realität und Fiktion oszillierend, kombinieren ihre jüngsten Arbeiten Installationen, Texte und Performances, die sich um die Begriffe Ort, Identität und Partizipation drehen. Die Künstlerin zielt darauf ab, die Rolle der Vorstellungskraft als Wert für die Konstruktion unseres Wissens wiederzuerlangen.
Ludovica Carbotta (geb. 1982 in Turin, lebt und arbeitet in Barcelona) schloss 2015 ihren Master of Arts am Goldsmiths College in London ab. Sie erhielt den Ariane-de-Rothschild-Preis, Mailand (2011), den Premio Gallarate (2016), das Gasworks International Fellowship, London (2016), eine lobende Erwähnung beim Premio ITALIA, MAXXI Museum, Rom (2016) sowie den New York Prize der ISCP/Columbia University (2018). 2017 war sie als Forschungsstipendiatin an der Jan Van Eyck Akademie in Maastricht zu Gast. Carbottas Arbeiten wurden in der internationalen Kunstausstellung "May You Live in Interesting Times" der 58. Venedig Biennale (2019) gezeigt, die von Ralph Rugoff kuratiert wurde. Des Weiteren stellte sie in folgenden Institutionen und Museen aus: Bündner Kunstmuseum, Chur; Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin; Drawing Center, New York; La Casa Encendida, Madrid; Mambo, Bologna; Palazzo Fortuny, Venedig; Künstlerhaus Museum, Graz; MAXXI Museum, Rom; Hangar Bicocca, Mailand; Dublin Contemporary, Dublin; and Matadero, Madrid.
Yara Sonseca Mas