





















Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München, 2022
Vom 28. Oktober bis 17. Dezember 2022 (verlängert bis 14. Januar 2023) zeigt Jahn und Jahn in München eine Überblicksschau zum zeichnerischen Schaffen von Karel Appel (1921 Amsterdam – 2006 Zürich). Als Mitbegründer der internationalen Künstlergruppe CoBrA zählt Appel zu den herausragenden Künstlern seiner Zeit und zu den Erneuerern der Kunst nach 1945.
Seine oft großformatigen Gemälde vereinen Figuration und Abstraktion und zeigen leuchtend bunte Farben, pastos aufgetragen, gepaart mit fantasie- und humorvollen Elementen von kämpferischer Energie. Inspiriert war der Künstler einerseits durch Outsider Kunst, andererseits finden sich Einflüsse durch Künstler wie Paul Klee, Kurt Schwitters oder Pablo Picasso. In dem Dokumentarfilm The Reality of Karel Appel aus dem Jahr 1961, ist zu sehen, wie der Künstler mit vollem Körpereinsatz Farbe auf die Leinwände wirft, klatscht und spachtelt, ein Verfahren, das Parallelen zum amerikanischen Action Painting aufweist (1). 1948 hatte Appel in Paris zusammen mit befreundeten Künstlerkollegen, darunter Corneille, Constant und Asger Jorn, CoBrA gegründet. Gemeinsam traten sie gegen akademische und gesellschaftliche Normen an. In der Folge und auf Vermittlung durch Michel Tapié begann ein Austausch, der über die Strömung des Informel hinaus ging, mit Künstlern wie Jackson Pollock und Willem de Kooning aus der ersten Generation der New York School sowie mit Sam Francis, Wols, Marc Tobey, Henri Michaux, Georges Matthieu und vielen anderen.
Appel war Maler und schuf darüber hinaus eine Vielzahl von Arbeiten auf Papier, Materialassemblagen, Objekten, Reliefs aus Keramik, Teppichen und Glasfenstern, wobei er den traditionellen Begriff von Skulptur zu einem Träger dreidimensionaler Malerei erweiterte. In seinen experimentellen Collagen und Assemblagen kommt ein heterogener Materialmix zum Einsatz, darunter Fundstücke, Holz, zerrissene (Well-)Pappe, Gouache, Acrylfarben, Kreide und Stanniol-Papier. Appels Ansatz erlaubt vor dem Hintergrund der 1960 in Paris gegründeten Nouveaux Realistes und der Vorläufer der Pop Art, Jasper Johns und Robert Rauschenberg, die in den frühen 1960er Jahren Popularität in Europa erlangten, vielschichtige Lesarten. In der betonten Zurschaustellung des Materials kann auch die physische Anstrengung nachempfunden werden, die bei Schaffung der Werke eine zentrale Rolle spielt.
Die Zeichnung war für Appel kein Nebenprodukt der Malerei. In ihr konzentriert sich der intuitive, schwungvolle Malergestus zu einer singulären Motivik. Diesen Teil von Appels Kunstschaffen näher zu beleuchten, eröffnet zum einen die Möglichkeit, den weltbekannten Künstler neu zu entdecken. Zum anderen führt es die Geschichte der Galerie Fred Jahn weiter, die diesem Medium stets besondere Aufmerksamkeit und vertiefte Auseinandersetzung zuteilwerden ließ.
Die Ausstellung „Karel Appel. Spinning Six Decades“ bei Jahn und Jahn in München versammelt 35 Zeichnungen verschiedenster Formate und Techniken, darunter viele bisher wenig und noch nicht gezeigte Arbeiten, ergänzt um zwei überlebensgroße Figurenskulpturen. Die frühesten Blätter datieren auf das Jahr 1947 und sind demnach noch vor der Gründung von CoBrA und vor Appels Übersiedlung von Amsterdam nach Paris entstanden. Die jüngste in München ausgestellte Papierarbeit hat er 1999, sieben Jahre vor seinem Tod, angefertigt. Die für die Ausstellung ausgewählten frühen Zeichnungen von 1947 zeugen eindringlich von Appels Kampf um die Loslösung von Erlerntem. Der versierte Zeichner suchte nach dem unverstellten Blick, der frei ist von künstlerischen Konventionen und Vorurteilen. Er kritzelte auf und kratzte in die Papieroberfläche, verinnerlichte auf diese Weise die enorme Kraft und den spezifischen Duktus spontanen kindlichen Zeichnens. In mühevoller Arbeit eignete er sich die Unbefangenheit von Kindern an, wie aus einem Brief aus dem Jahr 1947 an Corneille hervorgeht: „Tag und Nacht arbeite ich durch (…) warum?, damit ich das 20. Jahrhundert überwinde, von Picasso wegkomme, heftig in der Farbe, ich bin durch die Mauer der Abstraktion, des Surrealismus gestossen.“ Und weiter heisst es im gleichen Brief „Komme vorläufig nicht, keine Zeit außer angestrengter Arbeit, werfe alles über Bord, dein Freund Karel.“ (2)
In Überwindung und bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit den Errungenschaften der Avantgardeströmungen der Klassischen Moderne, die den Weg in die Abstraktion bereitet hatte, gelang Appel die Ausformulierung einer neuen expressiven Bildsprache, die seinen Zeitgenoss*innen unerhört impulsiv, ungelenk und roh erschienen sein muss. Anders als beim abstrakten Expressionismus nordamerikanischer Ausprägung vollzog Appel nie den Schritt in die Gegenstandslosigkeit. Während der 1950er Jahre treten die figürlichen Assoziationen etwas in den Hintergrund, ohne jedoch wie bei Pollock gänzlich aus seinen Bildern zu verschwinden. Aus einer zutiefst humanistischen Haltung heraus fokussierte sich Appel auf das Formen sichtbarer Gestalten zwischen Abstraktion und Figuration und widmete damit sein gesamtes künstlerisches Streben der Ausbildung einer von Stildefinitionen und kulturellen Traditionen befreiten individuellen Äußerung.
Die Ausstellung zeigt das Spektrum des zeichnerischen Repertoires Appels. Während einige Zeichnungen im Zusammenhang mit Wandarbeiten und Gemälden stehen, wirken andere wie Fingerübungen. Stets sind es jedoch eigenständige Kompositionen, die wesentlich durch die Wahl des Zeichenmitttels, die Größe und das Format des Blattes sowie die Oberflächenbeschaffenheit des Papiers bestimmt werden. Häufig ausgeführt in Gouache, Tinte, Aquarell und mit farbigen Kreiden – später kommen auch Ölstifte, Tempera und Arylfarben zum Einsatz. Überraschend sind in diesem Kontext die übermalten Close-Up-Fotografien von 1988 aus seiner Polaroid-Portrait-Serie. Entstanden mittels der „Polaroid 20x24“-Kamera im berühmten New Yorker Studio von John Reuter und Eelco Wolf, das schon von Chuck Close, Robert Mapplethorpe oder Andy Warhol aufgesucht wurde, handelt es sich um großformatige Nahaufnahmen weiblicher Körper. Zwei „Standing Nudes“ von 1987, die jeweils aus mit Seilen verbundenen Polaroid-Einzelbildern zu einer Gesamtfigur zusammengesetzt sind, ergänzen die Präsentation. Sie belegen einerseits wie wenig Appel von einer eindeutigen Einordnung seiner Werke in die Kategorien Skulptur, Malerei oder Zeichnung gehalten haben muss, und andererseits wie sehr er sich der Wiederholung innerhalb seines Œuvres verweigerte und die eigene künstlerische Routine und Praxis stets aufs Neue befragte.
Alle ausgestellten Werke wurden aus dem Nachlass des Künstlers zur Verfügung gestellt. Unser besonderer Dank gilt Harriet Appel, Franz W. Kaiser und Antonien Rijksen von der Karel Appel Foundation für die unschätzbare Unterstützung bei der Auswahl der Exponate und der Realisierung der Ausstellung.
(1) De werkelijkheid van Karel Appel / The Reality of Karel Appel, Regie: Jan Vrijman, 1961, 15 min., Deutsch/Französisch.
(2) Brief von Karel Appel an Corneille, 2. Dezember 1947, zit. n. Cobra 1948–1951, bearb. v. Uwe M. Schneede, Ausst.-kat. Kunstverein Hamburg, Hamburg 1982, S. 13.
Karel Appel (1921 Amsterdam – 2006 Zürich), lebte und arbeitete in Europa und den USA; 1942–1944 Studium der Kunst an der Rijksakademie in Amsterdam; 1948 Gründung von CoBrA; 1954 vertritt er die Niederlande auf der XXVII. Venedig-Biennale (Auszeichnung mit dem UNESCO-Preis); 1956 Auftrag für ein Wandbild im Restaurant des Stedelijk Museums in Amsterdam; 1958 Ausführung eines Wandgemäldes im UNESCO-Gebäudes in Paris; 1959 und 1964 Teilnahme an der documenta II und III in Kassel.
Auszeichnungen (Auswahl): 1959 Internationaler Preis der 5. Biennale von São Paulo; 1960 Internationaler Preis der Guggenheim Foundation; 1968 und 1999 Verleihung von Verdienstorden des niederländischen Königshauses; 2003 Ernennung zum Offizier der französischen Ehrenlegion; 1999 Gründung der Karel Appel Foundation in Amsterdam.
Einzelausstellungen (Auswahl): 1953/1984/2005 Palais des Beaux Arts, Brüssel; 1954 Martha Jackson Gallery, New York; 1955/1965/1981/2001 Stedelijk Museum, Amsterdam; 1957 Institute of Contemporary Art, London; 1960 Guggenheim Museum, New York; 1961 San Francisco Art Museum; 1966 Moderna Museet, Stockholm; 1977 Museo de Arte Moderno, Mexico City; 1982 Museum Boymans van Beuningen, Rotterdam; 1982/1990/2001/2005 Gemeentemuseum Den Haag; 1989 The National Museum of Art, Osaka; 1994 The National Museum of Contemporary Art, Seoul; 2007 Albertina, Wien; 2015 Musée National d`Art Moderne Centre Georges Pompidou, Paris.
Karel Appel starb am 3. Mai 2006 in Zürich und wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beigesetzt. Arbeiten des Künstlers befinden sich in zahlreichen internationalen Museen und Sammlungen. Die letzten beiden Einzelausstelllungen Appels bei Jahn und Jahn in München fanden 2021 und 2018 statt und waren den Collagen im Œuvre des Künstlers gewidmet.
Weiterführende Literatur:
Karel Appel. Collages 1957–1968, hg. v. Jahn und Jahn, mit Beiträgen v. Franz W. Kaiser u. Nadine Seligmann, Ausst.-Kat. Jahn und Jahn, München, Köln 2021, 148 S.
Karel Appel. Life-size and larger, mit Texten v. Franz W. Kaiser, Rudi Fuchs, Karel Appel u. Eelco Wolf, Ausst.-Kat. Eenwerk Gallery, Amsterdam, Amsterdam 2021, 22 S.
Karel Appel. A gesture of color, paintings and sculptures 1947–2004, hg. v. Dorothy Kosinski, mit einem Text v. Klaus Ottmann, Ausst.-Kat. The Phillips Collection, Washington, München / Berlin 2016, 80 S.
Karel Appel. Retrospective, hg. v. Franz W. Kaiser, mit Beiträgen von Klaus Ottmann, Benno Tempel u.a., Ausst.-Kat. Gemeentemuseum Den Haag, Köln 2016, 304 S.
Karel Appel. Der abstrakte Blick, hg. v. Ulrich Schumacher u. Rouven Lotz, mit Beiträgen von Franz W. Kaiser u. Rouven Lotz, Ausst.-Kat. Emil Schumacher Museum Hagen, Dortmund 2016, 100 S.
Karel Appel. Werke auf Papier, hg. v. Jonas Storsve, mit Beiträgen v. Andreas Strobl u. Anne Lemonnier, Ausst.-Kat. Musée national d’art moderne – Centre Pompidou, Paris / Staatliche Graphische Sammlung München, Pinakothek der Moderne, München, München 2015, 156 S.
Karel Appel. Werk op papier, mit Beiträgen von Franz W. Kaiser, H.J.A. Holland u. Mariette Josephus Jitta, Ausst.-Kat. Gemeentemuseum Den Haag, Den Haag / Zwolle 2001, 136 S.
Karel Appel. The complete sculptures 1936–1990, hg. v. Harriet de Visser u. Roland Hagenberg, mit Beiträgen v. Alan Jones, Donald Kuspit u. Carlo McCormick, New York 1990, 433 S.
Michel Ragon, Karel Appel. The early years 1937–1957, Paris 1988, 548 S.