Das Werk von Berthold Reiß erteilt der Logik eine Absage und bejaht die Schönheit. Logik ist nicht relevant, Schönheit ist tonangebend. Realismus ist ebenso ein Ideal wie eine Idee, die in eine neue Realität eingeht; diese bildet einen von Reiß vollkommen kontrollierten Bereich. Er widmet sich jeder Einzelheit mit großer Sorgfalt, so dass auch der kleinste Hinweis auf ein zufälliges Ereignis absichtlich gesetzt erscheint. Doch, wo sich Pfützen aus Farbe bilden oder wo das Holz splittert, kommen wir um die Erkenntnis nicht herum, dass wir mit einer materiellen ebenso wie mit einer historischen Wahrheit konfrontiert sind. Die Arbeiten erfordern ein zweites, ein drittes, ein viertes Hinsehen und vielleicht eine ganze Lebenszeit der Betrachtung. Was einst der Goldene Schnitt, die Wahrheit der Symmetrie, die Absolutheit der Perfektion für sich allein waren, schließt nun auch die Linien des Graphits, die Wellung des Papiers, den Tropfen Kleber ein. Man mag diese Elemente störend und ablenkend nennen; ich glaube jedoch, sie sind notwendig. Sie strafen den menschlichen Zugriff des Künstlers Lügen. Sein Wissen um die Gesetze der Komposition ist außerordentlich; trotzdem lassen seine Werke, auch wenn sie abgeschlossen sind, noch an Skizzen denken. Der Gedanke bleibt sichtbar, das Holz ist roh, die Linien stimmen.
Text von Cassy Smith