Die Galerie Fred Jahn präsentiert seit 2002 in regelmäßigen Abständen das Œuvre des bedeutenden deutschen Aquarellisten Ernst Wilhem Nay im Bereich Papier. Die Ausstellung in den Räumen der Galerie Jahn und Jahn legt den Fokus ausschließlich auf Werke von 1948 bis 1951. Diese Konzentration auf drei Jahre ist der symbolische Blick durch eine Lupe, der paradoxerweise das gesamte Werkkonzept des Künstlers E. W. Nay erfahrbar macht. Die gezeigten Bilder, Zeichnungen, Gouachen und Aquarelle entstanden in seinem abgeschiedenen Atelier in Hofheim am Taunus, das ihm Hanna Bekker vom Rath direkt nach dem Krieg vermittelte.
Obwohl Nay als entarteter Künstler während des zweiten Weltkrieges seine Kunst nur auf ein Minimum reduziert fortführen konnte, nutzte er die Zeit zur Weiterentwicklung der Ideen, die schon vor seinem Berufsverbot 1937 angelegt waren. „Was ich will: Deutung der übernatürlichen, doch als organisches Gesetz in uns vorhandenen Welt. Dieses organische Gesetz entwickelt die Bildidee. So daß das Ich eine Marionette wird“[1], schrieb er bereits 1931 in einem Brief. Dieses große Ganze, dem er sich künstlerisch verpflichtet fühlt, spiegelt sich unter anderem in seinem tiefgreifenden Naturbezug wieder. Seine Arbeiten aus der Serie der Hekatebilder (1945 – 1948) umkreisen das Mystische ohne in Inhaltliches abzurutschen: seine mythologischen Protagonistinnen, wie Hekate, die antike Göttin des Todes, der Magie und Verwandlung, oder Sybille, als Seherin oder Zukunftsweissagende Frau der Antike bekannt, lustwandeln und verschmelzen mit akardischen Landschaftskulissen. Nay strebt danach das „Mythische selbst erscheinen zu lassen, nicht als Darstellung, sondern als Ereignis des Bildes“[2]. Sein Ringen um Inspiration spiegelt den künstlerischen Neubeginn, seine Selbstvergewisserung als Künstler wider nach den radikalen Restriktionen der NS-Diktatur. Dies ist nicht gleichbedeutend mit einer sogenannten Stunde Null seines Werkes, vielmehr besinnt er sich auf seine Anfänge als tragfähiges Fundament.
Unter Berücksichtung seiner Affinität zu Serien und Variationen eines Themas, löst er sich zunehmend von erkennbaren Motiven, ordnet die Bildelemente neu und „bewegt sich so auf die Grenze zwischen ‚abstrahiert’ und ‚abstrakt’ zu“[3]. Seine zwischen 1949 und 1951 entstandenen ‚Fugalen Werke’ sind eine Resonanz auf die Musikalische Welt, die von zeitgenössischer Klassik bis hin zu Jazzmusik reicht. E. W. Nay antwortet in visualisierter Form und transformiert auditives Erleben. Es wirkt, als ziehe ein farbenprächtiges Formenspiel voller Rhythmik, Lebensfreude, Schnelligkeit und Lust vorüber, das für den einen, entscheidenden Moment angehalten wird und als ein besonderer Ausschnitt des „grösseren Ganzen (...) wellenförmig von Bild zu Bild weiterwandert“.[4]
E. W. Nay malt nicht das Zeitgeschehen, indem er zeitgenössische Stimmungen oder Inhalte der Nachkriegszeit festhält, sondern sucht stets die Verankerung in seinem Inneren. „Ohne Anregung aus der sichtbaren Welt kann kein Bild entstehen, aber das Ziel bleibt die Verwandlung diese Anfangs innerhalb des gestalteten Prozesses.“[5] Wie ein Pendel bewegt er sich zwischen Innen und Außen, zwischen Bewusstem und Unbewusstem, und lässt es in seine Bilder fließen, die er nach eigener Aussage „als synoptische Synthese“[6] interpretiert.
[1] E. W. Nay, Das Lesebuch. Selbsterzeugnisse und Schriften 1931–1968, Köln 2002, S. 12.
[2] Kat. Ausst. E. W. Nay, Stedelijk Museum, Amsterdam (u.a.) 1998, S. 23.
[3] Kat. Ausst. E.W. Nay, Galerie Fred Jahn, München 2015, S. 5.
[4] Kat. Ausst. Amsterdam (u.a.) 1998, S. 25.
[5] Ebd., S. 24.
[6] E.W. Nay, 27. Dezember 1949.